Dynamisch unterwegs

IVU MMT 2024

IVU & VU-ARGE Managementtagung 2024: Kreative Lösungen und die passende IT werden immer wichtiger

Bereits der erste Vortrag der zweitätigen Veranstaltung in Augsburg machte deutlich: Es geht bei den Versorgungsunternehmen heute um wesentlich mehr – nämlich mehr Chancen und mehr Risiken – als noch vor einigen Jahren. Detlef Fischer, der langjährige Geschäftsführer des Verbands der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft, präsentierte ein umfangreiches Zahlenwerk zur CO2-Reduktion, das vor allem eines zeigte: Die im Gesetz verankerte Verpflichtung, Bayern bis zum Jahre 2040 klimaneutral zu machen, ist mit dem derzeitigen Tempo der Maßnahmen nicht zu erreichen. Aus der Sicht von Detlef Fischer ist der mächtigste Hemmschuh die Komplexität, die sich unter anderem im Bürokratieaufbau zeigt: Während es im Jahre 1998 gerade mal 19 energierechtliche Paragrafen gab, sind es im Jahre 2022 bereits 914. Da die Vielzahl der Aufgaben und Herausforderungen die Ressourcen der einzelnen Versorgungsunternehmen schnell an ihre Grenzen führt, liegt es auf der Hand, in Kooperationen einen Schlüssel zur Lösung zu sehen. 

Bei guter Umsetzung hohes Potenzial: dynamische Tarife und Netzentgelte

Dr. Simon Köppl von der Forschungsstelle für Energiewirtschaft e.V. befasste sich in seinem Beitrag mit einer Fragestellung, die mutmaßlich für jeden der anwesenden Entscheider zum Bereich „strategisch-existenziell“ gehört: Welchen Einfluss kann der Einsatz von dynamischen Tarifen und Netzentgelten auf die Netzbelastung und damit auf den Umfang des notwendigen Netzausbaus im Niederspannungsnetz haben? Laut der aktuellen Studie „Haushaltsnahe Flexibilitäten nutzen“ für Agora Energiewende sind die Gestaltungsmöglichkeiten wesentlich größer als in der Branche bisher allgemein angenommen. Als Schlüsselfaktor entpuppen sich die neuen haushaltsnahen Verbrauchseinheiten. Die Ladeinfrastrukturen für E-Mobilität, Wärmepumpen und Heimspeichern werden laut der Studie bis 2035 zu einer gigantischen installierten Leistung anwachsen, die die Jahreshöchstlast deutlich übersteigt. Grundsätzlich könnten damit Flexibilitäten von über 100 Terrawattstunden pro Jahr aktiviert werden, um die Überschüsse der Solar- und Windstromproduktion zu integrieren. Entscheidende Voraussetzung dafür ist der Einsatz von dynamischen Tarifen und Netzentgelten. Wie Dr. Köppl deutlich machte, können 90 % dieser Flexibilitäten genutzt werden, um Stromeinkaufspreise zu senken und damit Kosteneinsparungen auf der Verbraucherseite zu generieren. Die verbleibenden 10 % lassen sich nutzen, um die Netzlast in den Verteilnetzen zu optimieren. 

Eines darf dabei nicht übersehen werden: Die Umsetzung eines solchen optimistischen Szenarios, das sowohl für Versorgungsunternehmen als auch für Endkunden Vorteile bringt, macht die Bewältigung einer sehr hohen Komplexität notwendig. Sämtliche Akteure müssen digital ertüchtigt und bereits vorhandene IT-Lösungen müssen breitflächig eingesetzt werden, um die gewünschten Effekte zu realisieren. Und nicht zuletzt bleibt auch der Faktor Mensch entscheidend: Für die Versorgungsunternehmen bleibt also die Frage, wie sie ihre Kunden dazu bewegen, die Möglichkeiten dynamischer Tarife zu nutzen. 

Dezentralisierte Energiewende: Chancen für eine Neupositionierung der Versorger

Auch Reinhard Rümler von PWC, der mit 25 Jahren Erfahrung zu den ausgewiesenen Kennern der Branche gehört, identifiziert die hohe Komplexität als eines der größten Probleme bei der Bewältigung einer dezentralisierten Energiewende. Seine generelle Lösungsempfehlung lautet: Komplexität sollte durch Abgabe an Dienstleister reduziert werden – oder durch Beteiligung an Kooperationen. 

Angesichts von gut finanzierten Startups wie zum Beispiel Tibber, die den Energiemarkt erfolgreich aufmischen, müssten Versorgungsunternehmen erkennen, dass sie auch rein wirtschaftlich gar nicht in der Lage seien, alles selbst zu machen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht erfordert das Flexibilitätspotenzial bei Themen wie etwa der autonomen Quartiersversorgung nicht nur hohe Anfangsinvestitionen, sondern auch einen langen Atem. Insofern wird nachvollziehbarer, warum Rümler in seinem Vortrag vor allem das Bündeln von Arbeiten, die Nutzung von Beteiligungen und das Schaffen von Kooperationen – zum Beispiel auch in Form von Einkaufsplattformen – empfiehlt. Dabei müsse man durchaus auch bereit sein, traditionelle Denkweisen zu überwinden. So stellt Rümler auch die Frage provokativ in den Raum, warum man eigentlich 600 grundzuständige Messstellenbetreiber braucht.

Transformation, nächste Stufe: die Rolle von §14a und künstlicher Intelligenz

Christian Enste und Georg Baumgardt rückten den Fokus wieder hin zur technischen Sicht. Der sprunghafte Anstieg der Komplexität in den Messkonstrukten, der vor allem dem Schutzniveau geschuldet ist, kann nur durch passende IT-Lösungen bewältigt werden. Diese sind mit dem Leistungsportfolio der IVU und ihrer Partner bereits vorhanden und können genutzt werden. Grundsätzlich ist alles da, um zu steuern – auch wenn man nur eine kleine Anzahl von Geräten im Feld hat. Der regulatorische Eingriff durch §14a stellt daher unter dem Strich weniger einen Bürokratieaufbau dar, als vielmehr eine dynamisierende Weichenstellung für die weitere Digitalisierung des Niederspannungssystems. 

Weniger klar, dafür jedoch nicht minder dynamisierend ist die Rolle, die KI für die nächsten Transformationsschritte spielen wird. Anhand eines fingierten typischen Telefongesprächs zwischen einem Endkunden und einem Stadtwerke-Mitarbeiter zeigten Enste und Baumgardt, wie KI zum Beispiel in der Kundenbetreuung eingesetzt werden kann. Nein – es geht nicht etwa darum, dass KI die Gespräche übernimmt. Vielmehr lässt sich mit KI beispielsweise eine Zusammenfassung des Gesprächs erzeugen, die zugleich mit Vorschlägen für den Folgeprozess verbunden ist. Der Mitarbeiter muss nicht mehr mitschreiben und kann am Ende auf den passenden Vorschlag klicken, um die nächsten passenden Prozessschritte anzustoßen. Großer Vorteil dieser Art der Unterstützung: Auch weniger erfahrene Mitarbeiter können bei der Betreuung von Kunden eingesetzt werden, ohne dass Qualitätseinbußen zu befürchten sind. Ein weiteres denkbares Arbeitsfeld von KI ist auch die Verarbeitung von Millionen von Messwerten – denn hier können KI-gestützte Schätzungen zu schnelleren und immer besseren Lastprognosen führen.

Nachwuchskräfte besser verstehen: Was sagt die Generationsforschung?

Rüdiger Maas, Autor zahlreicher Bücher und Gründer des Instituts für Generationsforschung mit Sitz in Augsburg, trat an, um einige der typischen Vorurteile zu beleuchten, die über die Generation der heutigen Nachwuchskräfte existieren. Schließlich haben die Unternehmen heute ein großes Interesse daran, neue passende Mitarbeiter zu finden. Genau da beginnt laut Maas bereits das Problem: Während die Baby-Boomer-Generation noch um einen Arbeitsplatz kämpfen musste und daher Engagement und Leistungsdenken notwendig waren, um erfolgreich zu sein, sehen die Rahmenbedingungen heute vollkommen anders aus. Ein junger Mensch kann sich im Prinzip aussuchen, wo er arbeiten möchte. Wenn für ihn ein Engagement über ein Mindestmaß hinaus oder die Übernahme von Verantwortung nicht mehr attraktiv sind, dann stellt dies im Grunde nur eine Anpassung an die veränderten Verhältnisse dar, so Maas.

Ein weiterer Faktor, der im Umgang zu berücksichtigen ist, sei der Einfluss einer oft stark ausgeprägten elterlichen Fürsorge und Bindung. Eine relativ normale Reaktion der jüngeren Menschen sei es, die Konventionen ihrer Eltern in hohem Maße zu übernehmen und dabei oft relativ egozentrisch zu bleiben. Ein eigenständiges Denken und Handeln mit klarem Bekenntnis zur Eigenverantwortung könnten junge Menschen daher oft erst viel später entwickeln, als etwa die Generation der Baby-Boomer dies in ihren eigenen Biografien verorten. 

Chancen der Flexibilisierung nutzen: strategische Eckpunkte 

Yanik Christe und Carsten Gropp vom Beratungshaus FourManagement befassten sich in ihrem Beitrag mit zentralen strategischen Elementen für eine Nutzung der Chancen, die sich durch neue Geschäftsmodelle und innovative Lösungen im Rahmen der Flexibilisierung ergeben. Im europäischen Vergleich zeigt sich, dass man in Deutschland bislang weit hinterherhinkt. So liegt die Smart-Meter-Abdeckung in Spanien bereits heute bei fast 100%. Rund 50% aller Kunden nutzen dort bereits dynamische Tarife. 

Ein Weg, um die Entwicklung auch in Deutschland unter den gegebenen Rahmenbedingungen voranzutreiben, ist die Identifizierung der unterschiedlichen Kundengruppen mit ihren jeweiligen Potenzialen. Während es bei Wohnungsmietern eher geringes Potenzial gibt, steigt der Wert bei E-Auto-Nutzern und Prosumern signifikant an. Die Kundengruppe mit dem größten Potenzial ist das energieintensive Gewerbe – denn hier gibt es in der Regel viele Möglichkeiten der Optimierung und zur Verschiebung von Lasten.

Den Schlüssel zum Erfolg sehen Christe und Gropp im Aufbau eines ganzheitlichen Flexumer-Angebotes, das auf einer engen Verzahnung von Commodity-Produkten und Energiedienstleistungen basiert. Sie sprechen von einem Ökosystem der künftigen Energieversorgung, in dem Hard- und Softwareprodukte kombiniert und an sinnvollen Stellen durch KI unterstützt werden.

Herausforderung Kundenbindung: Die Stadtwerke haben es in der Hand!

Dr. Panagiotis Memetzidis, Geschäftsführer der Stadtwerke Quickborn brachte in seinem Vortrag die Innensicht und die Erfahrungen aus der Auseinandersetzung mit dem Wechselverhalten von Kunden ins Spiel. Die empfindliche Steigerung der Energiepreise hat laut Memetzidis dazu geführt, dass Kunden viel mehr als früher Preise vergleichen und schneller bereit sind, bei einem Preisunterschied den Anbieter zu wechseln. Wie kann man dieser Entwicklung etwas entgegensetzen, ohne auf den notwendigen Ertrag zu verzichten? Ein Kunde, der einmal gewechselt hat, kommt nicht so schnell zurück. Daher sind Strategien, um Kunden zu halten, von besonders großer Bedeutung. Die Ausrichtung von Kundenevents gehört ebenso dazu wie ein guter Service und attraktive Kombiprodukte. Sehr wichtig sei aber auch eine Verständlichkeit der Tarife und die Freundlichkeit der Mitarbeiter. 

Aus seiner Sicht haben es die Stadtwerke in der Hand, ihre Zukunft zu sichern. Für absolut überlebenswichtig hält er zum Beispiel den Umstieg von der Vollversorgung in eine strukturierte Beschaffung. Bildet man dabei Einkaufskooperationen, kann man in hohem Maße auch von Lerneffekten profitieren. 

Ein Muss für Versorgungsunternehmen: Sinnvolle Maßnahmen gegen Cyber-Kriminalität

Florian Oelmaier von der Firma Business Risk & Crisis Management zeichnete in seinem sehr kenntnisreichen Vortrag ein Gesamtbild der weltweiten Cyber-Kriminalität, das sich im Zuge des Ukrainekrieges noch einmal deutlich verändert hat, da bei der Strafverfolgung nicht mehr mit den russischen Behörden zusammengearbeitet wird. Tatsache ist, dass die Angriffe auf Unternehmen zahlreicher werden und dass man nicht mehr so genau sagen kann, wann ein Angriff beginnt. Und auch wenn es offenbar so etwas wie eine Selbstverpflichtung der Cyber-Kartelle gibt, keine kritischen Infrastrukturen anzugreifen, so sind Versorgungsunternehmen keineswegs vor Datendiebstahl und Erpressung sicher. Dabei stehen Versorgungsunternehmen nicht mehr oder weniger im Fokus als andere Branchen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Wichtig ist, darauf vorbereitet zu sein und das gesamte Szenario eines Angriffs zumindest einmal durchzuspielen.

Wichtig, so Oelmaier, sei vor allem auch die Vorhaltung eines vollständigen regelmäßigen Offline-Backups. Denn ein Angriff könne im Grunde nie ausgeschlossen werden – es müsse aber ein Plan da sein, um nach einem Angriff möglichst schnell und vollständig wieder weiterarbeiten zu können. Diese Strategie, so ergänzte später Julian Stenzel, verfolge die IVU bereits genau aus diesem Grund.

Rechtssicherheit und Krisenfestigkeit durch technisches Sicherheitsmanagement

Winfried Klinger von der Winfried Klinger Organisationsberatung knüpfte an das Thema Krisen an, um die Vorteile des TSM deutlich zu machen. Mit der Pflicht, eine sichere Versorgung zu gewährleisten, geht auch einher, auf mögliche Pannen, Störungen, Unfälle und Krisen vorbereitet zu sein. In den Versorgungsunternehmen entsteht jedoch heute durch den Generationenwechsel die Situation, dass junge Mitarbeiter Aufgaben übernehmen, auf die sie nicht vollständig vorbereitet sind. Ein TSM kann dazu beitragen, das notwendige Wissen im Unternehmen zu verankern. Eine TSM-Zertifizierung sei dabei gar nicht unbedingt notwendig – auch eine reine Überprüfung hat bereits den Vorteil, eine bessere Selbsteinschätzung vornehmen zu können. 

Fazit

Zwischen den Chancen, die eine dynamisierte Gestaltung der Energiewende bietet und den Hürden, die eine immer weiter steigende Komplexität aufstellt, müssen die Versorgungsunternehmen jeweils eigene und neue Wege gehen, um ihren künftigen Erfolg zu sichern. Es hat sich bei der 20. IVU & VU-Arge Managementtagung gezeigt, dass kreative Lösungen, neue Formen der Kooperation und die passende IT immer wichtiger werden. 

Die Vorträge der sehr gut besuchten Veranstaltung in Augsburg sowie die angeregten Diskussionen haben gezeigt, dass das Know-how von Experten bei der Bewältigung eine ebenso große Rolle spielt wie der offene Austausch im Branchendialog.

Save the Date 2025: 14.-15. Mai 2025 in Hamburg